
Ein Plädoyer fürs Ausprobieren
Ich erzähle zur Zeit vielen Menschen von meiner Idee, dass man zu mir kommen und schreiben kann. Es ist irre schön, wieviel Interesse mir entgegen kommt, wieviele Leute aufhorchen und mehr wissen wollen. Nachdenklich stimmt mich nur, wie oft ich zu hören bekomme: „Ich würde das ja gern mal versuchen, aber ich weiß nicht, ob ich das kann.“
Hallo?!? Was ist das denn bitte für ein kruder Gedanke? Wie kann man etwas können, wenn man es noch nicht ausprobiert hat? Ist das nicht gerade Sinn des Ausprobierens, dass man sich an etwas wagt, was man noch nie gemacht hat und daher auch gar nicht können kann? Und schon gar nicht können muss?
Eigentlich wissen wir doch alle: Übung macht den Meister. Eine Binsenweisheit wie sie binsenweisheitiger gar nicht sein könnte.
Und dennoch scheint eine Vielzahl von Menschen an sich den Anspruch zu haben, ohne Übung Meister sein zu wollen. Sofort. In der ersten Klavierunterricht schon Schubert vom Blatt spielen zu können. Gleich am ersten Arbeitstag im neuen Betrieb alles richtig zu machen. Beim ersten Mal renovieren die Tapete perfekt an die Wand zu bekommen.
Ich gebe zu, ich gehöre tendenziell auch zu dieser Sorte Mensch. Immer alles „richtig“ machen zu wollen und am besten schon beim ersten Anlauf.
Puhhh. Was für ein Druck, was für eine Anstrengung, die man permanent aufwenden muss, um diesem Anspruch gerecht zu werden.
Vor einiger Zeit habe ich beschlossen, dem Ausprobieren in meinem Leben mehr Raum zu geben. Spaß daran zu haben, etwas einfach mal zu machen und herauszufinden, was dabei passiert. Und das erstaunliche ist: Es lebt sich viel einfacher. Und es schreibt sich auch viel einfacher.
Zwei Haltungen helfen mir dabei:
Entdecker sein
Bei meinem Gesangslehrer habe ich mir das abgeschaut. Bei ihm bin ich kein Schüler, sondern ein Entdecker im Land meiner eigenen Stimme. Ich probiere aus, wie weit ich meine Zunge rausstrecken und in welche Richtung ich sie bewegen kann. Was mit dem Klang in meinem Körper passiert, wenn ich mit dem Kopf nach unten singe. Wo in meinem Kopf der Vokal „i“ am meisten Resonanz hat und wo das „o“.
Das großartige daran ist: Ich bin niemand, der etwas lernen will oder schon etwas können muss. Sondern ich bin jemand, der etwas entdeckt, der sich und sein Tun mit Neugier und Staunen beobachtet. Ich bin Abenteurer, Schatzsucher, Pirat… und nicht jemand, der Singen lernen will. Was für ein Unterschied!
Mit Beta-Versionen leben
Softwareentwickler arbeiten ziemlich selbstverständlich mit Beta-Versionen. Sie veröffentlichen die noch unfertige Version eines Computerprogramms, um sie nach und nach zu optimieren. Wie genial, wenn man diesen Gedanken mal auf das Leben anwendet: Reicht nicht in vielen Lebenslagen auch einfach eine Testversion? Muss denn immer alles schon von Anfang an perfekt sein? Und ist nicht sowieso unser gesamtes Leben immer nur vorläufig, ein Entwurf, den wir unter realen Bedingungen testen?
Ich finde den Gedanken sehr befreiend. Auch und gerade beim Schreiben. Ich bin nicht jemand, der ein Meisterwerk vollbringen muss, sondern jemand, der etwas entwickelt, eine Idee, einen Satz, einen Text. Ich muss nicht von vornherein schon wissen, wohin es mich führt. Ich kann den ersten Entwurf erst mal in die Welt bringen – anstatt schon von vornherein an meinem Perfektionismus zu scheitern.
Allen, die sagen: „Ich würde es gerne ausprobieren, aber ich weiß nicht, ob ich es kann“, sage ich: Schreibt! Probiert aus. Ihr braucht keinen Plan dafür, keine Special Skills, ihr müsst nicht von vornherein wissen, ob das euer Ding ist. Werdet Pirat und erkundet eine euch unbekannte Welt… und schreibt erst mal nur eine Rohfassung anstatt den ganz großen Wurf. Der Rest ergibt sich von selbst.
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