Hochsensibilität und Schreiben

Eigentlich ist das ja ein Scheißwort: Hochsensibilität. Ich kann nicht anders, ich denke da immer an kleine, weinende Mädchen. An zarte feenhafte Dinger, die jeder Windhauch gleich umweht. Passt also nicht so wirklich zu einer mitunter sehr starken und lauten Frau wie mich…

Dachte ich jedenfalls erst.

Bis ich über den englischen Begriff „highly sensitive person“ (HSP) gestolpert bin und so langsam in mich hineingesickert ist, worum es geht: Um Menschen mit besonders feinen Sinnen. Menschen, die mehr sehen, hören und fühlen als andere… und die deshalb besonders empfänglich sind für Schönheit und Ästhetik – aber eben auch sensibler reagieren auf Konflikte und Kritik.

Das alles passte dann doch erstaunlich gut auf mich.

Mehr noch: Alles gab auf einmal Sinn. Dass ich als Kind alles ausgespuckt habe und heute auch noch sehr wählerisch mit dem Essen bin. Dass ich an grellen, heißen Sommertagen manchmal viel lieber drinnen im Dunkeln sitze. Und dass ich ein hohes Bedürfnis habe, mich zurückzuziehen und allein zu sein.

Mein Freundeskreis hat extra für mich den Ausdruck „spontan müde“ erfunden. Das bedeutet: Nachts um eins, wenn die Party grad voll im Gange ist, sage ich plötzlich „Ich gehe jetzt“, und lasse meine Freunde einfach stehen. Nicht, weil ich total assi bin, sondern weil ich schlicht genug habe und Ruhe brauche, um mich von all dem zu erholen, was an mir klebt: Rauch, Musik, Satzfetzen, Gesichter, Licht, Atmosphäre.

Hochsensible, so versucht es die noch junge Forschung zum Thema HSP zu erklären, haben ein Nervensystem, das schlicht empfindlicher auf äußere Reize reagiert. Sie brauchen deshalb mehr Ruhe und Zeit, um all das zu verarbeiten, was sie bewegt. Sie sind jedoch keine Mimosen, die gleich vor Schreck umfallen, wenn man sie anspricht.

Im Gegenteil.

Die Hochsensiblen, die ich kenne, sind allesamt geniale Menschenliebhaber. Sie können sich gut in andere hineinversetzen und mitfühlen und mitspüren, was ihr Gegenüber bewegt. Das macht sie zu wunderbar angenehmen Kollegen, Freunden und Partnern.

Und da ist noch etwas, was so ziemlich alle Hochsensible, die ich kenne verbindet: Ihr Bedürfnis sich kreativ auszudrücken. Wenn man das mal zu Ende denkt, dann ist das auch absolut logisch:

Hochsensible laufen quasi permanent mit einem „zu viel“ an Welt herum.

Zu viele Eindrücke, zu viele Gefühle, zu viele Gedanken. Und dieses „zu viel“ lässt sich am besten verkraften, wenn man es in einen Ausdruck bringt… und nichts ist dafür besser geeignet als Kunst, Literatur, Schauspiel, Tanz, Gesang… oder was auch immer.

Als ich das begriffen hatte, war mir auch plötzlich klar, warum ich schreibe. Warum ich dieses tiefe Bedürfnis habe, mich schreibend auszudrücken – unabhängig davon, ob meine Texte veröffentlicht werden oder nicht. Wenn ich schreibe, dann bin ich in Kontakt mit meiner ausufernden Gefühls- und Gedankenwelt… und dieses „zu viel“ drückt mich nieder, sondern macht mich lebendig und produktiv.

Wenn ich mich mal wieder mit dem Gedanken quäle, ob meine Texte wirklich was taugen oder ob sie wichtig sind oder für irgendjemand eine Bedeutung haben, dann versuche ich mich daran zu erinnern, dass es darum nicht geht. Sondern darum, dass ich eine besondere Fähigkeit mit mir herumtrage: Ich sehe hinter die Dinge, höre zwischen die Zeilen und fühle durch Raum und Zeit. Und deshalb schreibe ich.

Mehr Grund braucht es eigentlich nicht.

PS: Auch in meinen Schreibcoachings gebe ich mein Wissen und meine Erfahrung mit dem Hochsensibel-Sein weiter. Einfach Kontakt aufnehmen!

Foto: cc Menno Abbink (flickr.com)

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