
Vom Berührtsein
Wie so oft denke ich mal wieder darüber nach, was in unserem Schulsystem so alles schief läuft.
Nehmen wir mal Musik.
In der Grundschule läuft die Sache noch ganz okay, es wird gemeinsam miteinander gesungen, vielleicht werden Instrumente ausprobiert. Und dann in der weiterführenden Schule: Lässt man Jugendliche Musikstücke analysieren, in Gattungen einteilen und Akkordfolgen erkennen. Es zählt der Kopf, es zählt die Ratio. Und dabei tritt völlig in der Hintergrund, was Musik eigentlich kann: Uns Menschen zutiefst berühren.
Das gleiche im Fach Deutsch. Wir lassen die Jugendlichen literarische Werke sezieren, analysieren, einordnen, auf Thesen herunterbrechen. Und viel zu selten geht es um die Frage: Was macht dieses Buch mit dir? Was klingt in dir nach? Wo wirst du berührt, vielleicht auf beklemmende Weise, vielleicht aber auch auf ermutigende und inspiriende Weise?
Das Berührtwerden, die Gefühlsebene, wird ausgeblendet.
Dabei ist das doch gerade das Essenzielle daran.
Musik kann Menschen miteinander verbinden. Miteinander klatschen und tanzen funktioniert über Länder- und Kulturgrenzen hinweg. Musik kann aufrütteln und wach machen, Sehnsucht wecken oder Sehnsucht stillen, heilen und trösten.
Das gleiche gilt für Bücher. Sie können uns zum Lachen und zum Weinen bringen. Wir empfinden sie als schön oder erhebend oder erschütternd und traurig. Einzelne Sätze und Gedichte können uns gute Begleiter sein und uns durchs Leben bringen. Und manchmal trifft ein Stück Literatur uns ins tiefste Herz, ohne das wir sagen könnten, was genau es ist.
Das ist doch das Eigentliche. Und das Eigentliche kommt in der Schule selten zu Sprache.
Ich weiß, es gibt solche und solche Schulen und es gibt solche und solche Lehrerinnen und Lehrer. Und dennoch.
Viel zu oft begegne ich erwachsenen Menschen, die verzweifelt auf der Suche nach dem Eigentlichen sind. Denen der Zugang zu sich und der eigenen Gefühlswelt fehlt. Denen die Verbundenheit und die Zugehörigkeit fehlt, zu sich selbst und zu anderen. Menschen, die sich abhetzen und vergessen, sich Zeit zu nehmen für den Genuss von Schönheit. Die Sehnsucht danach haben, berührt zu werden und berüht zu sein. Aufzugehen in etwas, was Größer ist, als sie selbst.
Manchmal gehöre ich auch zu diesen Menschen.
Und genau deshalb wünsche ich mir ein neues, ganz und gar anderes Schulsystem.
Die Schule von der ich träume, gibt dem Fühlen genau so viel Platz wie dem Denken.
In der Schule von der ich träume, gibt es kleine Gruppen und lichte, helle Räume.
Die Schule, von der ich träume, legt weniger Wert auf Faktenwissen und mehr Wert auf Verbundenheit, Empathie, Kreativität und Inspiration.
In der Schule, von der ich träume, gibt es Lehrerinnen und Lehrer, die niemand mit Noten bewerten müssen und deshalb Zeit haben für das Eigentliche: Die Kinder und Jungendliche als die zu sehen, die sie sind.
Wäre das nicht schön?
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