
Was die Anderen denken
In meinem Schreibseminar, das ich vor drei Wochen gehalten habe, war eine junge Frau, die partout nicht vor allen vorlesen wollte. Obwohl es nur 15 Kommilitonen waren, die zugehört haben und obwohl das allesamt sehr nette Leute waren. Der Gedanke, dass die Anderen negativ auf ihre selbstverfassten Texte reagieren könnten, machte ihr hochgradig Angst.
In solchen Fällen mache ich immer eines: Ich erzähle, wie gut ich das verstehen kann. Denn auch, wenn ich keine Probleme hätte, in so kleiner Runde meine Texte vorzulesen, so kenne ich das doch nur zu gut: Die Angst, was die Anderen wohl denken.
Eigentlich, glaube ich, kennt jeder und jede diese Angst – vielleicht haben sie einige von uns ausgeprägter als andere. Aber jeder Autor und jede Autorin muss sich zwingend notwendig damit beschäftigen, mit den Reaktionen anderer auf das eigene kreative Tun.
Für mich gehört das zum Schaffensprozess notwendigerweise mit dazu, dass ich mein Publikum beim Schreiben mitdenke. Dass ich versuche, mir vorzustellen, wie es sein wird, den Text vorzulesen. Dass ich quasi schon hören kann, wie es klingt, dass ich schon fühlen kann, welche Stimmung ich auf der Bühne erzeuge. „Die Anderen“ sind also imaginär immer anwesend. Im besten Fall als positiver Resonanzraum. Im schlechtestens Fall als potenzielle Stolperfalle beim Schreiben.
Denn „die Anderen“ fangen in meinem Kopf oft an zu wabern. Sie bekommen unfreundliche und nörgelige Gesichter. „Die Anderen“ finden, dass ich nur mittelmäßige Texte schreibe. Dass ich sowieso viel zu wenig schreibe und veröffentliche… dass ich im Grunde genommen eine bloße Hobbyautorin bin, eine bloße Provinzautorin. Sie finden meine Texte kacke. Oder mich. Oder beides.
Ein Gruselkabinett, mein potenzielles Publikum.
Das Interessante an der Sache ist, dass „die Anderen“ in der Realität gar nicht existent sind. Mir hat merkwürdigerweise nämlich noch nie jemand gesagt: „Du, also ich halte deine Texte für nichtssagend und banal“ oder „Du bist doch nur irgendeine Provinzautorin“. Noch nie – wirklich noch nie nie! – hat das jemand gesagt.
Es klafft also eine Lücke zwischen „den Anderen“ in meinem Kopf und meinem tatsächlichen Publikum, das meine Texte liest oder hört.
Aber, ihr Lieben, und jetzt wird es spannend… tatsächlich habe ich mich schon sehr oft dabei ertappt, wie ich solche und ähnliche Gedanken über anderen Autorinnen und Autoren hatte: „Sie ist ja wohl eher eine Möchtegernautorin“ oder „Er ist bestimmt arrogant, wenn er bei so einem Intellektuellen-Verlag veröffentlicht“ oder „Sie schreibt grauenhaft, und das hat tatsächlich jemand veröffentlicht?“
Das sind die Urteile in meinem eigenen Kopf!
So, wie es aussieht, kenne ich meine eigenen abfälligen Gedanken, meine harten Urteile über das Werk anderer sehr genau. Und weil ich sie so gut kenne, liegt der Schluss natürlich nahe, dass andere mit mir und dem kreativen Output meines Tuns auch so harsch ins Gericht gehen…
Mein imaginiertes Gruselkabinett ist also einfach nur ein Spiegel dessen, was ICH über andere denke.
Das ehrlich vor sich selbst zuzugeben, ist alles andere als einfach. Aber ich schreibe darüber so offen, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass es euch, ihr Lieben, hin und wieder ähnlich geht. Und weil ich denke, dass genau darin der Schlüssel liegt.
Was mein Publikum tatsächlich über meine Texte denkt, kann ich nicht beeinflussen. Werde ich auch nie beeinflussen können. Ob sie’s gut oder kacke finden – liegt nicht in meiner Hand.
Was ich aber sehr wohl beeinflussen kann, ist das, wie ich über andere denke. Ob ich ihr kreativen Schaffen einfach mit einer Handbewegung wegwische, ob ich anderen Autorinnen und Autoren ihre Existenzberechtigung abspreche. Oder eben nicht.
Also starte ich vielleicht genau – dort.
Oder?
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welch ehrlicher und wahrlich beherzter StARTpunkt – ich bin dabei…
ja diese inneren gorilla-und affenbanden sind schon eine ganz besonders gespenstische aufzucht, der eigenen ART. na dann lass uns es doch wie dian fossey oder jane goodall machen – friedlich den kontakt aufnehmen und sie verstehen lernen.;-)…
Aaah, wie angenehm ehrlich. Und wie treffend.
Der einzige Punkt, an dem ich ansetzen kann, bin ich und mein Verhalten. Wenn ich mich sein lassen kann, wie ich bin, mit all meinen Schwächen und den Stärken, wird’s viel leichter. Und ich „muss“ nicht an anderen herumkritisieren.
Und wo wir schon bei Tierbildern sind (schönen Gruß an Ellen): „Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche“, wusste schon F.W. Bernstein.
Großartiges Zitat! Das muss unbedingt in meine Sammlung 🙂
Ganz liebe Grüße, Franziska
🙂