
Was ich von einem Rapper übers Tagebuchschreiben gelernt habe
Ich gebe es zu, ich hege Vorurteile gegenüber Rappern. Männer, die Joggingshosen und Goldkettchen tragen und sich gegenseitig mit „Digga“ ansprechen? Nicht so mein Fall.
Aber dann hab ich den Rapper Motrip in der TV-Show Sing meinen Song Das Tauschkonzert gesehen und erlebt. Und habe eine kleine Lektion erteilt bekommen über Klischees und was hinter ihnen steckt.
Motrip heißt mit bürgerlichem Namen Mohamed El Moussaoui, seine Eltern sind vor dem Bürgerkrieg aus dem Libanon geflohen und haben in Deutschland ein neues Zuhause gefunden. Als Jugendlicher probiert es sich als Rapper, sein großes Vorbild Kool Savas entdeckt und supportet ihn, er schafft es, in die deutsche Rapszene aufzusteigen und sein Geld mit Musik zu verdienen.
Das sind die Fakten – so weit. Wirklich erstaunlich ist aber, mit welcher Ruhe und Demut dieser Mann auf dem TV-Sofa sitzt. Und mit welch großer Ehrlichkeit er über das erzählt, was er denkt und fühlt. Ein ungeheuer reflektierter Typ mit erstaunlicher sprachlicher Eleganz und Treffsicherheit, der auf alle anwesenden Musiker Eindruck macht. Auch deshalb, weil er sein Herz auf der Zunge zu tragen scheint.
Er und der anwesende Jan Plewska, Frontmann der Band Selig, unterhalten sich über das Tagebuchschreiben. Wie wertvoll das ist, wenn man einen Ort hat, an dem man alles rauslassen kann und wie befreiend dieses Gefühl ist, Dinge zu notieren. Und dann ist das ist so ein Moment, in dem der Rapper Motrip direkt zu mir zu sprechen scheint:
„Heutzutage tippen wir so schnell irgendwas in die Tastatur und hauen das raus und teilen das mit der ganzen Welt. Wir unterhalten uns gefühlt mit jedem – außer mit uns selbst. Und wenn du deine Gedanken in ein Tagebucht schreibst, dann ist das etwas Ewiges. Ich entdecke mich in dem, was ich schreibe, immer selbst.“
„Wir unterhalten uns gefühlt mit jedem – außer mit uns selbst.“ Das stimmt. Ich rede mit vielen Menschen. Wir reden viel über die Corona-Situation und welche Fragen und Belastungen diese Zeit mit sich bringt. Aber wann unterhalte ich mich eigentlich richtig mit mir selbst? Höre mir selbst richtig zu? Lausche ich mir und dem, was wichtig für mich ist?
Ich weiß, dass ich dieses Mir-selbst-Lauschen brauche. Aber dennoch vergesse ich es so oft, wenn ich meinen Augenmerk darauf richte, mit anderen Menschen in Kontakt zu sein. Dabei ist es doch mindestens genau so wertvoll, mit mir selbst in Kontakt zu sein.
Ja, Tagebuchschreiben ist wundervoll! Wie hatte ich das vergessen können?
Zwei Lektionen auf einmal – ganz schön viel für einen Fernsehabend. Danke Motrip!
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