Was richtig ist und was falsch

Was richtig ist und was falsch ist und was alles dazwischen liegt

Gerade passiert etwas Interessantes.

Die Corona-Beschränkungen werden schrittweise gelockert und die Reaktionen und Verhaltensweisen der Menschen um mich herum, könnten nicht weiter voneinander entfernt sein.

Ich kenne Menschen, die sich selbst sehr strenge Regeln auferlegt haben und daran auch nichts ändern wollen. Die möglichst nicht aus dem Haus gehen, nicht ins Restaurant, nichts in den Biergarten, nicht zur Yogagruppe und auch nicht, um Freunde oder Verwandte zu besuchen. Das sind meistens Menschen, die mit Sorge in die Zukunft blicken und denen besonders am Gemeinwohl oder an der Gesundheit eines geliebten Menschen gelegen ist.

Ich kenne Menschen, die sich über die Lockerungen freuen und sie gerne in Anspruch nehmen. Die ins Restaurant gehen, sich wieder mit Freunden treffen, ins Fitnessstudio gehen, Unternehmungen machen, und jetzt auch die ersten Veranstaltungen, die wieder möglich sind, besuchen. Das sind meistens Menschen, denen Hygieneregeln und Abstandhalten weiterhin wichtig ist, die aber sich und ihr Umfeld nicht als besonders bedroht wahrnehmen.

Und dann kenne ich Menschen, denen das alles nicht weit genug geht. Die für eine Abschaffung der Maskenpflicht sind und gute Gründe haben, warum sie sich nicht impfen lassen wollen, gegen den Corona-Virus genau so wenig wie gegen Grippeviren. Das sind meistens Menschen, die das Gefühl haben, dass die Maßnahmen angesichts der positiven Zahlen übertrieben sind, die sich bevormundet fühlen und Sorge haben, dass dieses Zustand ewig anhält.

Wer von diesen Menschen macht es richtig? Das ist die Frage dieser Zeit.

Die einen schauen verständnislos bis empört auf die anderen und die andern schauen empört bis verständnislos auf die einen. Wir leben alle im Jahr 2020, aber unser Verhaltensweisen bei ganz grundlegenden Dingen lagen selten so weit auseinander.

Das interessiert mich. Das interessiert mich als Mensch und als Autorin.

Denn eine der wichtigsten Fragen, die mich beim Schreiben umtreiben, ist: Wer sind Menschen? Warum verhalten sie sich, wie sie sich verhalten?

Ich weiß nicht warum, aber irgendwie macht diese Situation, dass ich mich mal wieder ins Menschsein verliebe.

Wir sind so verdammt zerbrechliche Wesen. Wir alle sehnen uns nach Orientierung. Wir alle wollen wissen, wo es lang geht. Was richtig ist und was falsch.

In den letzten Wochen habe ich mich oft danach gesehnt, eine Eindeutigkeit herstellen zu können. Liege ich mit meiner Einschätzung der Lage richtig? Verhalte ich mich so oder so? Rausgehen ja oder nein? Leute treffen ja oder nein? Mal zog es mich in die eine Richtung, mal in die andere.

Es ist schwer das auszuhalten, dass wir eine Situation erleben, die wir alle nicht kennen. Uns fehlen Erfahrungswerte. Und trotz aller Forschung immer noch Erkenntnisse.

Klar, gibt es die Verordnungen. Aber innerhalb dessen hatten und haben wir Spielraum, unser Leben zu gestalten.

Für mich war die wichtigste Erkenntnis, dass es dieses „Richtig“ und „Falsch“ nicht wirklich gibt. Wir machen Schritte in eine Zukunft, Tag für Tag, und wir kennen sie nicht so gut. Selbst ich, die ich Erfahrung mit Improvisation habe, die ich schon oft vor unübersichtlichen Situationen stand – selbst mir fällt das echt schwer. Es auszuhalten, dass die Dinge eben nicht eindeutig sind. Dass wir als Gesellschaft Dinge, die immer „normal“ waren und nicht zur Debatte standen, plötzlich verhandeln müssen.

Ich glaube ganz fest, dass wir alle uns sehr viel ähnlicher sind, als wir denken, wenn wir uns mal wieder über die anderen aufregen und empören. Denn wenn wir die Kluft für unüberwindbar halten, dann übersehen wir unsere wichtigste Gemeinsamkeit:

Wir alle tun, was wir tun, weil wir uns danach sehnen, dass wir wohlbehalten, gesund und glücklich sind. Wir alle tun das, wovon wir glauben, dass es uns zu unserer Sehnsucht näher bringt.

Als Autor:innen beschäftigen wir uns viel mit unseren Figuren und dem, was sie für Ideale und Träume haben. Was ihre Sehnsucht ist. Wo sie hinwollen. Und auch mit dem, was ihnen im Weg steht, ihre Ängste und Neurosen, ihre familiären Verstrickungen, ihr gesellschaftliches Eingebettetsein. Im besten Fall kennen wir Licht und Schatten unserer Figuren.

Im besten Fall führt uns das Schreiben zu einer Offenheit für Menschen und ihre Verhaltensweisen. Zu Neugier. Zu einem „Warum ist das so?“

Und im besten Fall verlieben wir uns beim Schreiben in unsere Figuren. Und in uns selbst. Und in unsere Mitmenschen.

Ich glaube, das ist einer der Gründe, warum ich schreibe. Weil ich mich dabei immer wieder ins Menschsein verliebe.

Weil wir alle Erbamen verdient haben.

Für diejenigen, die wir sind.

Und für das, was wir hoffen.

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